Die Zeitspanne, auf die wir als Mensch tatsächlich Einfluss nehmen können, ist sehr kurz. Warum verpassen wir es so oft, die Gegenwart zu gestalten? Warum verteilen wir unsere Zeit oft willkürlich, als sei sie ein ersetzbares Spielzeug? Der römische Philosoph und Stoiker Seneca hinterfragt die menschliche Tendenz, „das Vergangene zu vergessen, das Gegenwärtige zu vernachlässigen und vor der Zukunft Angst zu haben“.
Dass wir Menschen sterblich sind, ist eine bekannte Tatsache. Wir wissen, dass unsere Zeit hier auf der Erde begrenzt ist. Doch wie oft blenden wir diese Tatsache aus? Wie oft im Alltag werden wir getrieben von einer Aufgabe zur nächsten? Wie oft machen wir uns selbst völlig automatisch zur Marionette? Wem schenken wir unsere Zeit? Wie willkürlich verteilen wir unser Leben? Wie oft nehmen wir uns überhaupt die Zeit, uns diese Fragen zu stellen? Streben wir nach Antworten? Warum streben wir nicht nach Fragen?
Ich denke, dass viele uns von ein „Lobdefizit“ (Funny van Dannen) haben. Ein anderer soll uns loben, uns Aufmerksamkeit schenken, gut zu uns sein. Doch wo bleibt der eigene Anteil? Geben wir uns selbst genügend Aufmerksamkeit? Welcher Teil unseres Lebens gehört tatsächlich uns selbst?
Es ist nur der gegenwärtige Moment. Etwas anderes besitzen wir nicht. Die Gegenwart legt fest, wer wir in der Zukunft sein werden. Warum nehmen wir sie nicht wichtiger?
Die Verdrängung der Sterblichkeit ist ein alltägliches Phänomen. Letztlich haben wir Angst davor, nicht genügend Zeit zu haben. Doch Zeit wofür? Womit füllen wir unsere Zeit? Warum sind wir so gierig nach Zeit? Hoffen wir auf eine Zurückerstattung unserer ungenutzten Jahre?
Nein, es wird keine Zurückerstattung geben. Aber es gibt unsere Erinnerungen. Und wie unsere Erinnerungen aussehen, entscheiden wir selbst. Durch die Gestaltung unserer Gegenwart. Erinnerungen sind unantastbar und das ist es, was sie so wertvoll macht. Erinnerungen wachsen aus lebendiger Energie, aus dem Innehalten, aus der Aufmerksamkeit, die wir den Dingen schenken.
Womit sind wir immer so beschäftigt? Und macht uns unsere Sterblichkeit vielleicht nur deshalb Angst, weil wir die Gegenwart nicht zu nutzen verstehen? Weil wir unser Leben in die Zukunft verschieben? Und weil die Zukunft niemals so unendlich sein kann wie unsere Prokrastination?